Als Inhaber einer Handelsagentur für MI (Musical Instruments) und Pro Audio-Equipment werde ich hin und wieder gefragt, was genau eigentlich ein Vertrieb macht und ob, bzw. wozu man heutzutage überhaupt noch einen Vertrieb braucht. Warum könne man denn z.B. als Hersteller nicht einfach den Einzelhandel, oder als Vertrieb die Endkunden direkt beliefern?
Nun, diese Frage ist etwas komplex und deren Beantwortung auch nicht mit zwei Sätzen erledigt.
Zunächst ist anzumerken, dass sich die heute etablierte mehrstufige Vertriebsstruktur in den letzten Jahrzehnten nach und nach bis zur heutigen Form herausgebildet und auch bewährt hat. Dabei kommen jedem einzelnen Segment der Handelskette spezielle Aufgaben zu, auf die sich der jeweilige Vertriebspartner spezialisiert und in der er sich profiliert hat. Beginnen wir einmal mit dem Produzenten. Die Hersteller von Musikinstrumenten und Music Equipment haben ja grundsätzlich mehrere Auswahlmöglichkeiten, dafür zu sorgen, dass ihre Produkte den Endkunden erreichen. Dabei besteht die klassische Vertriebsstruktur aus vier Stufen / Segmenten:
Hersteller (bei ausländischen Erzeugnissen überwiegend zugleich Exporteur)
Vertrieb / Distribution (bei ausländischen Erzeugnissen überwiegend zugleich Importeur)
Einzelhandel (stationär, als auch online)
Endkunde (Verbraucher)
Dann sei noch die Sonderform „Herstellervertrieb“ genannt, von der wir dann sprechen, wenn ein Hersteller im gleichen Land, in dem er ansässig ist, auch die Vertriebsaufgaben übernimmt.
Eine Alternative zu diesem „klassischen“ Vertriebsmodell besteht (hier von Europa als Gesamtvertriebsgebiet ausgehend) in einem Europäischen Zentralvertrieb (inkl. Lager, Service, Buchhaltung und Logistik), sowie einzelnen und national unabhängig agierenden Vertriebsrepräsentanten bzw. Verkaufsrepräsentanten (engl. abgekürzt auch Sales Rep genannt). Letztere Variante gewinnt aufgrund des zunehmenden Kostendruckes – auch auf Vertriebsseite – in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung. Aus diesem Grunde suchen in letzter Zeit Hersteller und Vertriebe zunehmend Handelsagenten, bzw. Handelsagenturen, innerhalb derer dann die Handelsvertreter selbstständig agieren, bei eigener Übernahme der Kosten (vollständig, bzw. anteilig).
Nun wurden in den letzten Jahren und Jahrzehnten im Bereich der Distribution von ´Musical Instruments´ (MI) und auch von Pro Audio-Equipment immer wieder Versuche unternommen, diese mehrstufige Handelsstruktur zu straffen, zu vereinfachen, bzw. teilweise zu umgehen. Mit unterschiedlichen Erfolgen, wie sich herausgestellt hat. Einerseits versuchten (bzw. versuchen) einige inländische Hersteller ihren Vertrieb gänzlich ohne Verkaufsrepräsentanten, d.h., ohne Außendienst, zu organisieren. In diesem (eher seltenen) Falle wird dann das frei werdende Budget zumeist in aufwendige Marketing- und Werbeaktionen investiert, um auf diesem Wege trotzdem eine entsprechende Marktdurchdringung und -präsenz der Produkte zu erlangen. Ebenso gab es Versuche, die Produkte vom Hersteller (Inland) direkt an die Endkunden zu verkaufen – also unter vollständiger Ausklammerung des Einzelhandels. Dieses Modell hat sich nicht bewährt und Hersteller, die diesen Weg gegangen sind, sind heute nicht mehr marktpräsent.
Zwei andere Markttendenzen sind besonders seit Einführung des Internets und dem damit einhergehenden schwunghaften Anstieg des Online- sprich Versandhandels – zu beobachten. Einerseits die Tendenz, dass wenige, große Versandhändler auf Basis ihrer Online-Shops und oftmals unterstützt durch umfangreiche Katalog- bzw. andere Printmedien, sowie intensives Social Media-Marketing eine bis dahin nicht gekannte Marktdominanz erlangt haben, dass man sie mittlerweile als Marktführer auch im Sinne des Vertriebes wahrzunehmen hat. Im klassischen Sinne der o.g. Definition handelt es sich hierbei um Einzelhändler, die aber aufgrund ihrer Größe und ihres außerordentlichen Umsatzvolumens z.T. eigene Vertriebs- und Verkaufsstrukturen bis hin zum Endkunden generiert haben. Oftmals ergänzen diese „European Player“ unter den Einzelhändlern ihr Verkaufssortiment durch eigenes Branding, also Herstellung von Marken und Produkten unter eigenem Namen.
Ein andere Tendenz ist darin zu sehen, dass zunehmend auch branchenfremde, international agierende Online-Versandhändler im MI-Handel in Deutschland und Europa an Marktpräsenz gewinnen und dadurch oftmals auch preisbestimmend in Erscheinung treten. Hier haben wir es mit einer völlig neuen Quantität und Qualität des Handels zu tun, der im Folgenden noch ein separates Kapitel zu widmen sei.